Pleil / Werner / Rinsdorf Verantwortung – Gerechtigkeit – Öffentlichkeit

Normative Perspektiven auf Kommunikation

E-Book, Deutsch, 430 Seiten

Reihe: Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft

ISBN: 978-3-7445-1051-6
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Fragen nach und Debatten über Verantwortung und Gerechtigkeit in der Gesellschaft fallen in die Phase eines andauernden Wandels von Öffentlichkeiten, der maßgeblich durch die Digitalisierung geprägt ist. Die teilweise disruptiven Veränderungen führen dazu, dass normative Ansprüche an (mediale) Kommunikation auf unterschiedlichen Ebenen neu ausgehandelt werden müssen. Dieser Band mit ausgewählten Beiträgen zur 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Darmstadt reflektiert aktuelle Entwicklungen im Journalismus, in den traditionellen Medien und auf den neuen Medienmärkten analytisch wie kritisch aus dem Blickwinkel von Ethik und Verantwortung.
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Publizistische Qualität im medialen Wandel – eine normativ begründete Standortbestimmung
Ralph Weiß, Melanie Magin, Uwe Hasebrink,
Olaf Jandura, Josef Seethaler und Birgit Stark
1 Einleitung
Einer geläufigen Formel zufolge lässt sich auf die folgende Weise beschreiben, was die Gesellschaft vom Journalismus erwarten darf: Journalismus stellt Themen für die gesellschaftliche Anschlusskommunikation bereit. Er informiert dabei über das für alle relevante Geschehen in Politik und Gesellschaft. Damit schafft er Grundlagen für die freie Auseinandersetzung von Meinungen und Positionen und ist auf diese Weise für die Demokratie konstituierend. So in etwa sieht das Bild aus, das Kommunikationswissenschaft, Medienrecht und -politik und die Profession selbst annähernd übereinstimmend von den Leistungen des Journalismus zeichnen. Aber kann er sie noch erbringen, wie es das klassische Verständnis seiner öffentlichen Aufgabe meint? Durch die Digitalisierung erwächst den traditionellen Medien neue, massive Konkurrenz im Kampf um Publikumsaufmerksamkeit und Werbegelder. Weil beide zunehmend ins Internet abwandern, schwinden die ökonomischen Ressourcen für klassischen, hochwertigen Journalismus, für den die Rezipienten aufgrund der Gratismentalität im Netz zudem immer weniger zu zahlen bereit sind. Der durchs Internet steigende Aktualitätsdruck beschneidet zugleich die Zeit für sorgfältige, umfassende Recherchen. Diese Entwicklungen schlagen sich in einigen Ländern, beispielsweise der Schweiz, bereits jetzt in einer sinkenden Qualität publizistischer Medienangebote nieder (fög 2014). Journalismus scheint sich in einer Umbruch- oder gar Krisenphase zu befinden (Jarren et al. 2012). Krisenphasen nötigen zur Vergewisserung. Machen wir uns von den Leistungen des Journalismus noch einen angemessenen Begriff? Der folgende Beitrag will in mehreren Schritten zu einer solchen Vergewisserung beitragen: Den Anfang macht der Versuch, den Kernbestand an Standards für die Qualität journalistischer Leistungen demokratietheoretisch abzuleiten, auf deren Einlösung eine demokratische Gesellschaft angewiesen ist und die daher bei der Analyse der Performanz journalistischer Systeme nicht aufgegeben werden können. Abschnitt 2 diskutiert, in welchem Verhältnis ein solches Verständnis journalistischer Qualität zur Perspektive des Publikums steht. Abschnitt 3 setzt sich mit dem methodischen Problem auseinander, wie operationale Maßstäbe bestimmt werden können, anhand derer vermessen werden kann, wie gut die journalistischen Leistungen zu den maßgeblichen Prinzipien der Legitimierung, der Pluralität und der Partizipation beitragen. Abschnitt 4 diskutiert, wie die Rolle von Rahmenbedingungen für die Ausprägung journalistischer Qualität ermittelt werden kann, und plädiert für eine Verbindung der Qualitätsforschung mit der international vergleichenden Kommunikationsforschung. Auf diese Weise entstehen die Umrisse eines Forschungsprogramms, das einer empirischen Standortbestimmung zur publizistischen Qualität zugrunde gelegt werden könnte. 2 Standards journalistischer Qualität
Mit dem Begriff der Öffentlichkeit verbindet sich die „wirkmächtigste Utopie der Menschheit: Die Idee, dass die freie öffentliche Kommunikation dem Menschen den ‚logos‘, also Vernunft, Sinn und eine entsprechende Gesellschaft ermöglicht“ (Imhof 2013: 9). Welche Standards für publizistische Leistungen lassen sich aus den Wesensmerkmalen der Demokratie zwingend herleiten? Es gibt an solchen Ableitungen keinen Mangel, im Gegenteil. Strömbäck spricht gar von einer „Plethora“ (Strömbäck 2005: 333), einer geradezu verwirrenden Überfülle an Ansätzen und Modellen, die normative Standards demokratietheoretisch begründen. Unterdessen liegt eine Reihe sehr lehrreicher Übersichten über öffentlichkeitstheoretische Modelle und die aus ihnen abgeleiteten Qualitätsdimensionen vor (Glasser 2009, Ferree et al. 2002, Jandura/Friedrich 2014, Strömbäck 2005). Demgegenüber geht es im Folgenden um den Versuch, aus der Vielfalt der Konzepte zu Kernbestimmungen zurückzufinden, für die sich zeigen lässt, dass sie für Demokratien notwendig und nicht nur wünschenswert sind. Zu diesem Zweck machen wir uns eine Idee von Scott Althaus zu eigen. Er fordert eine geschlossene Begründungskette, die lückenlos erklärt, warum und wie Prinzipien der Demokratie durch empirische Befunde zu Medienleistungen berührt sind (Althaus 2012: 109). Einen geeigneten Ausgangspunkt bildet das Elementarprinzip der Demokratie, die Legitimierung. Denn in der Kategorie Legitimierung fließen alle wesentlichen Bestimmungen zusammen, die eine Demokratie ausmachen: die Repräsentation der politischen Bestrebungen im Volk für das Volk, die Grundrechte als Bezugspunkt und Maßstab für Legitimität, das Rechtsstaatsprinzip und damit die Gewaltenteilung als Voraussetzungen für Legitimität (Thränhardt 1992). Das Prinzip der Legitimierung hat Sarcinelli auf eine kompakte Formel gebracht: „Politische Herrschaft in einer Demokratie ist zustimmungsabhängig und daher begründungspflichtig“ (Sarcinelli 1998: 253). Daraus lässt sich ein erster Schluss auf die Substanz öffentlicher Kommunikationsprozesse ziehen, die für eine Demokratie nötig ist: Der Grundsatz der Begründungspflicht verlangt, dass alles politische Entscheiden wahrnehmbar ist; am Journalismus liegt es, für die Sichtbarkeit der Macht zu sorgen. Mehr noch: Er muss durchsichtig machen, was politische Entscheidungen – bzw. umstrittene Entscheidungsoptionen – bedeuten, und zwar in zweierlei Hinsicht: für die heterogenen Interessen der Gesellschaftsmitglieder sowie für die pluralen politischen Grundhaltungen. Diese – in einem weiten Sinne verstandene – Transparenz der Politik bildet ein erstes Kriterium dafür, was im Raum öffentlicher Kommunikation Relevanz hat. Wie vollständig oder selektiv in der medienvermittelten öffentlichen Kommunikation für die Durchsichtigkeit politischen Handelns gesorgt wird, entscheidet über das Gelingen der Legitimierung. Das Kriterium der Relevanz bezieht sich zunächst darauf, was durch Medien und ihre Journalisten zur thematischen Substanz öffentlicher Kommunikation gemacht wird. Untrennbar fließt aber auch mit ein, auf welche Weise über die Praxis der politischen Herrschaft berichtet wird. Das Kriterium der Transparenz ruft auch Standards für die Qualität der Berichterstattung auf, wie sie in den Überlegungen von Schatz und Schulz (1992) der Kategorie „Professionalität“ zugeordnet sind; in den Arbeiten von Wessler und Rinke (2014) finden sie sich in der Throughput-Dimension der Deliberation. Es geht um Dimensionen wie „analytische Qualität“ und als ihre Grundlage die „Sachgerechtigkeit“ bzw. „Objektivität“ (Donsbach 2007: 198). Denn es muss für Bürger auf sachgerechte Weise erkennbar sein, inwieweit sie in ihren Interessen und Grundhaltungen betroffen sind. Sie brauchen verlässliche Grundlagen für ein verständiges Urteil, ob und inwiefern eine politische Entscheidung sie etwas angeht. Eine bloß episodische Darstellung erfüllt das Kriterium nicht (vgl. auch Strömbäck 2005: 353). Aus dem Prinzip der Legitimierung ergibt sich noch ein zweites Kriterium für die Substanz öffentlicher Kommunikation: Es muss zum Vorschein kommen, welche Problemwahrnehmungen und daraus folgenden Politikerwartungen in der Gesellschaft umlaufen. Denn diese Problemwahrnehmungen bilden den Bezugspunkt für die Legitimierung. Sie müssen sich öffentlich artikulieren können. Erst dadurch gerät Politik unter den Druck, mit Blick auf diese mehr oder weniger autochthon ausgebildeten Themen- und Problemwahrnehmungen zu erläutern, warum sie Zustimmung verdient. Das setzt voraus, dass der Eigensinn lebensweltlich grundierter politischer Weltanschauungen im öffentlichen Raum zum Vorschein kommt. Der Gedanke leitet über zum Prinzip der Pluralität. Die Heterogenität von politischen Anschauungen und Positionen ist eine gesellschaftliche Tatsache. Das politische Prinzip der Pluralität meint demgegenüber die verbürgte Freiheit, solche unterschiedlichen politischen Positionen auszubilden und geltend zu machen, d. h. in der Konkurrenz zu anderen durchsetzen zu wollen. Grundlagen der Legitimierung werden nur dort entfaltet, wo öffentliche Kommunikation den Raum dafür bietet, solche konkurrierenden politischen Bestrebungen zu artikulieren. Liberale Demokratietheorien weisen der Öffentlichkeit daher die Aufgabe zu, als ‚Marktplatz der Ideen’ zu fungieren, der von den unterschiedlichen Protagonisten frei betreten werden kann. Sie halten sich dabei an die Überzeugung, die von John Stuart Mill ausgedrückt worden ist: Jeder ist selbst der einzig verlässliche Wächter über seine eigenen Rechte und Interessen...


Prof. Dr. Petra Werner lehrt Journalistik an der FH Köln. Prof. Dr. Lars Rinsdorf lehrt Journalistik an der Hochschule der Medien Stuttgart. Prof. Dr. Thomas Pleil lehrt Public Relations an der Hochschule Darmstadt. Prof. Dr. Klaus-Dieter Altmeppen lehrt Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.


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